Venedigs Mörder

Alle Welt ist von dem grausamen Mord in der Lagune schockiert – nur die Venezianer selbst nicht. Mario Giustian ist mit der Aufklärung des Falles beauftragt und stellt bald fest, dass es hier um mehr als nur einen Mord geht.

Der Mörder hinterlässt keine Spuren, außer denen, die man finden sollte – Spuren aus Blut.

Plötzlich nimmt der Fall eine entscheidende Wende, die Giustian auch emotional an den Mörder bindet. Ist es da bereits zu spät für ihn?

Darum geht es

Am Anfang ist Maresciallo Capo Mario Giustian noch völlig arglos bei seinen Ermittlungen. Gerade erst seit zwei Monaten ist er in Venedig und soll nun als Carabinieri einen Jahrzehnte alten Fall lösen, von dem er bisher nur in den Zeitungen gelesen hatte. Alle zwei Jahre schlägt der Maskenmörder zu. Präzise wie ein Uhrwerk. Immer beim Carnevale a Venezia. La Maschera hinterlässt am Tatort immer eine Maske bei seinen Opfern, die er grausam zurichtet. Auf den ersten Blick gibt es bei der Auswahl der Opfer keine Gemeinsamkeiten. Das Alter, die Größe und das Aussehen sind ebenso unterschiedlich wie der Familienstand, die Augen- und Haarfarbe, das Geschlecht, die Figur und sogar die Religionen. Die Serie hat auf den ersten Blick nur eine Gemeinsamkeit: Sie endet immer spätestens am Karnevalsdienstag.

Nach all den Jahren scheinen sich die Venezianerinnen und Venezianer damit abgefunden zu haben, dass alle zwei Jahre drei Menschen in ihrer Stadt ermordet werden. Der Maskenmörder gehört für sie zur Lagunenstadt wie das Acqua alta.

Die Carabinieri hat nach all den Jahren noch immer keine Spur, die zum Mörder führt. Giustian erkennt schließlich doch eine Gemeinsamkeit. Das erste Opfer stammt immer aus einer niedrigen sozialen Schicht - Rentner, Arbeitslose oder sogar Landstreicher - Menschen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben. Das zweite Opfer stammt jeweils aus dem Mittelschicht - Angestellte, Beamte, Kleinunternehmer, also Menschen, die ein passables, aber nicht verschwenderisches Leben führen können. Das dritte Opfer stammt dagegen aus der wohlhabenden Schicht Venedigs. Die Opfer sind Besserverdienende, wie Bürgermeister, Stadträte, Kirchenvorstände oder sogar Regierungsmitglieder.

Der Maresciallo versucht das Motiv für die Serienmorde herauszufinden. Wer steckt dahinter und wie gelingt es dem Täter, so lange unentdeckt zu bleiben? Mario Giustian hat schließlich einen Verdacht, der ihn jedoch selbst in Gefahr bringt. Alles deutet auf einen historischen Zusammenhang mit Napoleon Bonapartes Eroberung von Venedig im Jahr 1797 hin. Wird der Maresciallo den Fall lösen?

»Ein spannender Einblick in eine Welt, von der wir glauben, sie zu kennen, die aber doch geheimnisvoll bleibt.«

Leseprobe

Er schnappte nach Luft, inhalierte sie tief, um das Unvermeidliche zu unterdrücken.

Natürlich wusste er, woher die stechende Übelkeit kam, aber das half ihm nicht, wenn er über seiner Toilettenschüssel hing und würgte.

Er fühlte nur noch die innere Leere, ein schwarzes Loch, in das er schon vor Wochen hineingefallen war. Er hatte keine Lust mehr, jeden Morgen dieselbe Prozedur zu ertragen.

Er betrachtete sich im Spiegel, war, bis auf die dunklen Augenringe, die er seit Tagen ignorierte, mit sich und seinem sportlichen Körper zufrieden, obwohl er schon seit Monaten nicht mehr sein Fitnessprogramm absolviert hatte, das er früher so verbissen Tag für Tag durchgezogen hatte.

Er hielt den Kopf unter das frische, kalte Wasser, das ihm guttat. Er hörte, wie sein Handy klingelte, raste durch die kleine Zweizimmerwohnung, zu seinem Nachttisch, auf dem das Handy vibrierte.

Ein Kollege aus der Einsatzzentrale, dessen Name er nicht verstanden hatte, teilte ihm mit knappen Worten einen Mord im Parco delle Rimembranze mit, den er mit einem Motoscafo erreichen würde, das ihn in weniger als einer Viertelstunde abholen würde.

Hastig zog er seine Uniform über den Slip, gelte sein dunkles Haar nach hinten und strich sich über den Dreitagebart, den er heute eigentlich abrasieren wollte.

Der Parco delle Rimembranze lag jetzt in einem wunderschönen Licht. Die morgendliche Frühlingssonne tauchte die Bäume und den Schnee in ein warmes goldgelb, das die Schneedecke bald zum Schmelzen bringen würde. Die Bäume trugen schon vereinzelt kleine Blätter, die im kühlen Meereswind hin und her tanzten. Hinter einer mit Plastikplanen verhüllten Bauabsperrung wimmelte es von Carabinieri, die ein kleines Gebiet notdürftig mit rotweißem Band abgegrenzt hatten.

Die unterdrückte Übelkeit kehrte blitzartig zurück, als er sich dem Tatort bis auf wenige Schritte genähert hatte.

Ein älterer Mann, er schätzte ihn auf Ende siebzig, war auf grausamste Weise mit einem stumpfen Gegenstand zugerichtet worden.

Überall innerhalb der Absperrung waren blutige Fleischstücke verstreut, die den angetauten Schnee in ein dunkles Rot färbten. Die Augen des Opfers waren ausgestochen worden und lagen neben ihm im Schnee.

Für die anderen völlig überraschend schlüpfte Giustian hastig unter der Banderole hindurch.

Er schaffte es gerade noch bis zu einem immergrünen Busch, bevor er sich in die dünne Schneeschicht erbrach.

Nachdem es ihm wieder besser ging und sich sein Magen beruhigt hatte, bedeckte er die Stelle notdürftig mit dem losen Schnee und kehrte wieder zu seinen Kollegen zurück.

"Das sieht nicht gerade nach einem Raubmord aus. Wer hat ihn eigentlich gefunden?" Mario Giustian sah fragend in die Runde, bis sich ein junger Brigadiere meldete.

Wortlos zeigte er auf eine ältere Dame, die zusammengekauert auf einer Holzbank ein Stückchen abseits saß.

Ein etwas untersetzter Carabiniere flüsterte ihr beruhigende Worte zu, während der Hund der älteren Dame brav auf ihrem Schoß lag.

"Ich werde mich um sie kümmern. Ist die Spurensicherung schon informiert? Haben Sie den Mann bereits identifiziert?"

"Nein, Maresciallo Capo. Wir wollten auf Sie warten. Wir haben nichts berührt, die Spurensicherung ist verständigt und auf dem Weg hierher", antwortete der junge Beamte.

Die ältere Dame schien ungefähr im selben Alter zu sein wie das Opfer. Sie war etwas altmodisch gekleidet, aber ihre Haut war erstaunlich feinporig und frisch. Sie hatte sich leicht geschminkt, sehr dezent, aber doch sichtbar.

Giustian setzte sich neben sie, schwieg und beobachtete den Tatort, sah, wie die Spurensicherung eintraf und mit ihrer Arbeit begann. Dann beobachtete er sie, wie sie mit leeren Augen in den Schnee starrte, völlig fassungslos.

"Furchtbar, wozu Menschen in der Lage sind." Seine Stimme war völlig ruhig, wie er es in den zahlreichen Psychologiekursen gelernt hatte, die er immer wieder gerne besucht hatte.

Sie nickte leicht, sagte aber nichts.

"Kannten Sie das Opfer?"

"Opfer …", wiederholte sie mechanisch, die Augen immer noch auf einen undeutbaren Punkt fixiert.

Er nahm ihre warme Hand, streichelte sie sanft, bis sie ihm ihren Blick zuwandte.

"Ich kannte ihn nur vom Sehen. Ich gehe hier jeden Tag mit meinem Hund spazieren. Manchmal haben wir uns hier getroffen und ein bisschen erzählt. Er wohnt, glaube ich, ganz in der Nähe."

"Ich werde Sie nach Hause bringen lassen. Einer meiner Mitarbeiter wird sie begleiten, wenn Sie möchten."

Der Maresciallo winkte nach dem Kollegen, der sich schon zuvor um die ältere Frau gekümmert hatte.

Widerwillig kehrte Mario Giustian zum Tatort zurück.

Die Spurensicherung hatte unter einem losen Schneehaufen eine Maske entdeckt, die ihm ein Brigadiere in einem Plastikbeutel vor die Nase hielt.

"La Maschera hat wieder zugeschlagen. Sein erstes Opfer in diesem Jahr nehme ich an", sagte er lakonisch.

Giustian hatte in seiner Heimat ein oder zweimal von einem sogenannten Maskenmörder in der Zeitung gelesen, aber damals hatte ihn der Fall nur am Rande interessiert, weshalb er jetzt nichts mit diesem Begriff anfangen konnte.

"Entschuldigung, ich hatte ganz vergessen, dass Sie ja noch nicht lange hier sind."

Ein leichtes Grinsen huschte seinem Gegenüber über das Gesicht, was Giustian wenigstens äußerlich völlig unbeeindruckt ignorierte.

"Der Maskenmörder schlägt, präzise wie ein Uhrwerk, alle zwei Jahre zu. Es ist immer dieselbe Vorgehensweise: Immer lässt er eine Maske bei dem Opfer zurück, immer sind die Morde grausam und immer endet das Spiel spätestens am Karnevalsdienstag."

"Wo hat man die Maske gefunden?"

"Unter einem Haufen Schnee, man sollte sie finden. Sie war nur leicht versteckt. Er hätte sie genauso gut auch neben dem Opfer liegen lassen können."

"Das hat er aber nicht getan. Jedes Detail ist bei so einem Fall wichtig. Machen Sie auch ein Bild von dem Fundort der Maske und legen Sie irgendetwas daneben, um die Entfernung zur Leiche abschätzen zu können."

Die Spurensicherung war mittlerweile dabei, ein großes Zelt über dem Opfer zu errichten, um den möglichen Tatort vor neugierigen Blicken der schaulustigen Parkbesucher zu schützen und um mögliche Spuren davor zu bewahren, zerstört zu werden.

Die Männer mit ihren weißen Schutzanzügen und ihren Hauben auf dem Kopf und mit den blauen Müllsäcken, die sie sich um ihre Schuhe gebunden hatten, machten das Bild noch grotesker, als es ohnehin schon wirkte. Giustian beschloss, außerhalb des Zeltes auf die ersten Untersuchungsergebnisse zu warten.

Nach mehr als vier Stunden Arbeit der Spurensicherung waren die Leichenbestatter angekommen. Nachdem die Gerichtsmedizin und die Spurensicherung und schließlich auch Giustian die Leiche freigegeben hatten, wurde das Opfer in einem schwarzen Plastiksarg abtransportiert.

Vor gerade einmal zwei Monaten war Maresciallo Capo Mario Giustian nach Venedig versetzt worden.

Er wollte schon immer nach Venedig, es war die Stadt seiner Träume. Er liebte das Meer und die Romantik, die er mit einer immer vorhandenen Melancholie, die über der Stadt zu schweben schien, verband.

Er konnte jetzt allerdings von dieser Romantik der Lagune nichts entdecken. Sie zeigte sich kalt und grau und vor allem schien die Stadt menschenleer zu sein.

Aber diese Menschenleere hatte für Mario Giustian auch etwas Gutes - er hatte die Ruhe, die er im Augenblick brauchte.

Der Schreibtisch in dem Großraumbüro quoll über von unliebsamen Akten, die seine neuen Kollegen im Laufe der Zeit dort abgelegt hatten.

Über Alexander Guzewicz

Alexander Guzewicz ist in der Nähe von Heidelberg aufgewachsen und hat dort eine juristische Ausbildung beim Land Baden-Württemberg absolviert. Er hat schon sehr früh, im Alter von fünfzehn Jahren, mit dem Schreiben begonnen. Alexander Guzewicz lebt und arbeitet heute in Berlin.

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